Früher war das aus Holz • Warum Eltern immer die schönere Kindheit hatten by Tillmann Prüfer
Autor:Tillmann Prüfer [Prüfer, Tillmann]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644470910
Herausgeber: Rowohlt Digitalbuch
veröffentlicht: 2015-08-21T16:00:00+00:00
Pädagogen empfehlen eine Stunde sportliche Bewegung am Tag. Sportwissenschaftler fordern täglichen Schulsport. Als Kind wäre das für mich kaum zu ertragen gewesen – jeden Tag den muffigen Geruch von Jungenschweiß in der Umkleide? Allerdings ist der Schulsport nicht mehr der alte. An den Grundschulen wird die Hälfte des Sportunterrichts nicht mehr von dazu ausgebildeten Lehrkräften gegeben, und ein Viertel der Sportstunden fällt aus. Der Sportwissenschaftler Wolf-Dietrich Brettschneider hat sogar ermittelt, dass die Bewegungsfähigkeit der Kinder in den vergangenen 25 Jahren um zehn bis fünfzehn Prozent zurückgegangen ist. Mehr als die Hälfte schafft die von mir damals so gehasste Rumpfbeuge nicht mehr, bei der man bei gestreckten Knien im Stand die Zehen berühren muss. Wegen der Bewegungsunfähigkeit der Kinder ist beispielsweise der Kopfstand vielfach aus dem Unterrichtsprogramm genommen worden. An manchen Schulen wird nun Golf unterrichtet – weil es weniger körperlich anstrengend ist. Ich war damals also als Schulsportler einfach meiner Zeit voraus.
Meine Frau ist wesentlich sportlicher als ich. Sie hat sämtliche Sportabzeichen, sie ist athletisch. Sie meint, wir sollten die Kinder in einem Sportverein anmelden. Ich pflichte ihr bei. Aber in welchem? Die einzige Sportart, die ich in den vergangenen Jahren betrieben habe, war Kindertragen. Und das nicht einmal freiwillig. Ich muss Kinder auf Schultern und Rücken schleppen, weil sie sich weigern zu laufen. Und ein bisschen kann ich sie leider verstehen. Ich bin meinen Kindern kein gutes Vorbild. Ich sollte es aber sein.
Dagegen treiben meine Töchter MICH manchmal zu Sport an: «Papa, können wir Fußball spielen?», fragt Frida. Wer hat ihr gegenüber schon einmal über Fußball gesprochen? Ich? Was weiß eine Vierjährige darüber? Und woher? Das sagt sie mir selbst: «Der Emil spielt auch mit seinem Papa Fußball.» Da gibt es also kein Zurück, merke ich. Frida möchte auch einen Papa haben, der mir ihr Fußball spielt. Und wenn ihr Papa das nicht mitträgt, dann hat Emil eben den besseren Papa, und Frida wird sich diesem zuwenden.
«Natürlich können wir Fußball spielen», sage ich also. «Das macht ganz viel Spaß.» Ich nehme zwei Schemel im Wohnzimmer und einen Ball, von denen etliche im Kinderzimmer herumliegen. «Pass auf, wir spielen jetzt Elfmeterschießen», erkläre ich. «Hier ist das Tor, und da musst du den Ball hineintreten. Und ich versuche, ihn festzuhalten.» Frida hat verstanden, sie tritt mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft gegen den Ball, er springt auf mich zu. Was jetzt tun? Lasse ich den Ball nicht hindurchkullern, sorge ich für ein Misserfolgserlebnis meiner Tochter. Sie wird dann vielleicht traurig sein. Sie wird das Gefühl haben, dass ihr übermächtiger Vater ihr Talent erstickt, sie immer wieder in die Schranken weist. Ihr Vater, der in der Torwarthaltung mit gebeugt wippenden Knien vor ihr steht – ihr quasi im Leben im Weg steht, könnte das nicht zu einem Sinnbild werden? Andererseits könnte es ja auch sein, dass ich gerade jetzt den Ball halten muss. Damit ich meinem Kind zeige, dass ich es als ernstzunehmendes Gegenüber akzeptiere. Geht es nicht darum im Sport? Wenn der Ball bei mir durch die Beine kullerte, könnte
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